Im Kondolenzbuch der Großen Loge, das für Aram Zey angelegt wurde, gibt es seit kurzem einen neuen Eintrag. Dieser ist zwar anonym, läßt aber aufgrund von Schrift und Schilderung erkennen, daß er von Jumari verfaßt wurde:
Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich dies schreiben soll oder nicht. Viele hier sprechen von Verlust und von Trauer, andere drücken ihre Freude darüber aus, daß Aram Zey nicht mehr bei uns ist. Es weiß wohl fast jeder in der Loge, daß Meister Zey und ich kein gutes Verhältnis zueinander hatten. Es gab kaum eine Vorlesung, in der wir nicht verschiedener Meinung waren (insbesondere was den Umgang mit Personen angeht, die über wenig oder keinerlei Magiebegabung verfügen). Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich als Novize auf sein Geheiß irgendwelche Strafarbeiten erledigen mußte, vom Restaurieren alter Grimoires über das mehrfache Abschreiben von magischen Texten bis hin zum Säubern staubiger Lagerräume. Sicher mußten das andere auch aber auf mich schien er es besonders abgesehen zu haben. Es ist also vielleicht verständlich, daß ich weniger Trauer sondern eher Erleichterung empfinde. Andererseits erkenne ich wohl, daß er ein mächtiger Magier und eine starke Säule der Loge war, schließlich verdanken ich und viele andere seinem Wissen und seiner (wenn auch sehr unwirschen) Bereitschaft es zu vermitteln, wertvolle Erkenntnisse. Und in einigen Fällen, meinem eingeschlossen, sogar das Leben. Auch frage ich mich bis heute, ob Meister Zey wußte, daß ich einen großen Teil der Strafarbeitszeit damit verbracht habe, in den alten Büchern zu lesen und eigene Abschriften anzufertigen. Im Rückblick erscheint es mir doch, als hätte er mir unverhältnismäßig viele Aufgaben gegeben, die mir Zugang zu magischem Wissen verschafft haben. Aber ob das nun Zufall oder Absicht war, ich habe sehr viel dabei gelernt. Ähnlich verhält es sich mit den Streitgesprächen, die wir während und auch außerhalb der Vorlesungen hatten. Irgendwann habe ich aus Verzweiflung alle Bücher ausgeliehen, die sich mit Rede- und Streitkunst beschäftigen. Sogar durch die achtbändige Ausgabe von Rhetomar Rikkuns „Von der guten und der verbotenen Conversatio“ habe ich mich gequält, alles in der Hoffnung, ihm wenigstens ab und an die Stirn bieten zu können. Auch wenn das nicht wirklich möglich war, bin ich nun in der Redekunst so geschult, daß mir nur wenige Leute gewachsen sind. Das hat mir oft geholfen, schwierige und gefährliche Situationen auf diplomatische Art und Weise zu lösen. Abschließend kann ich doch sagen, daß ich zwar keine Trauer, wohl aber Respekt und Dankbarkeit empfinde. Der Verlust von Meister Zey wiegt schwer, um so mehr als alle die nach mir kommen, nicht mehr die Möglichkeit haben werden, von ihm zu lernen.
_________________ Beware of a half-truth - you may have the wrong half.
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